Erziehung

Selbstbestimmt durch die Kindheit – warum das so wichtig ist

Entscheidungen – wir tun den ganzen Tag nichts anderes, als uns – mehr oder weniger selbstbestimmt – für oder gegen etwas zu entscheiden. Das geht morgens mit der Auswahl des Outfits los und endet abends mit der Entscheidung jetzt ins Bett zu gehen. Dazwischen treffen wir laut Verhaltensforschern 20.000 Entscheidungen. 20.000 Entscheidungen pro Tag (!!!!).

Aber nicht nur bei uns Erwachsenen, sondern auch im Alltag unserer Kinder gibt es viele Entscheidungen zu treffen: Was wird heute in die KiTa/Schule angezogen? Kleid oder Hose? Sandalen oder Gummistiefel? Was soll gefrühstückt werden? Wird mit dem Auto oder der Puppe gespielt? Soll gemalt oder getobt werden? Drinnen oder draußen gespielt werden? Im Sand oder auf der Rutsche? Wollen wir nach Hause gehen oder noch am Spielplatz bleiben? Soll das rote oder das grüne Sandförmchen gekauft werden? Fahren wir mit dem Fahrrad zum Einkaufen oder gehen wir zu Fuß? Und das ist nur eine kleine Auswahl an Fragen, die sich täglich stellen. Doch darf diese (oder andere) Entscheidungen wirklich mein Kind treffen? Wie selbstbestimmt darf mein Kind seinen Alltag (mit)gestalten? 

Selbstbestimmt Handeln vs. „wissende“ Erwachsene

Selbstbestimmt durch die Kindheit

In vielen Köpfen kursiert die Annahme, dass es schneller und einfacher geht, den Kindern die Entscheidungen abzunehmen. Nach dem Motto: Wenn ich morgens bestimme, was in die KiTa angezogen werden soll, dann geht es schneller und außerdem weiß ich ja wohl eh am Besten, was gut ist, oder?

Dass mein Kind aber vielleicht ganz andere Vorstellungen hat und die blaue Jeans mit dem roten T-Shirt gar nicht anziehen möchte, weil sie viel mehr Lust auf die blaue Leggings mit dem rosafarbenen Kleid hat, das bedenke ich dabei nicht. Und dass das zu Unmut und Diskussionen oder gar zu ausgewachsenen Wutanfällen am frühen Morgen führen kann (weil das Kind noch nicht mit einer Abweichung seiner im Kopf vorgefertigten Programme umgehen kann), das vergesse ich dabei vielleicht auch. Da geht dann gar nichts schneller, im Gegenteil: Alles verzögert sich und die Nerven liegen auf beiden Seiten blank bevor der Tag erst richtig losgeht.

Und mal ehrlich: Ist es wirklich essentiell wichtig, dass die Jeans und das rote T-Shirt angezogen werden? Oder ist das nicht eine Entscheidung, die ich getrost meinem Kind überlassen kann? 

Regeln für die Sicherheit

Natürlich gibt es auch Entscheidungen, deren Asmaß/Folgen ein kleines Kind noch nicht absehen kann. Die Entscheidung meines Kindes, im tiefsten Winter bei Minusgraden nackt im Garten zu spielen, könnte ich z.B. nicht verantworten. Denn hier geht es um die Gesundhet, welche bei dieser Entscheidung durchaus gefährdet werden würde. Oder die Entscheidung, auf der Fahrbahn spazieren zu gehen, statt auf dem Gehweg oder ohne Helm Laufrad zu fahren. Das ist eine Frage der Sicherheit. Es gibt also durchaus Regeln, an die sich mein Kind halten MUSS, ob es diese nun gut findet oder nicht. 

Selbstbestimmt entscheiden = Lernerfahrungen

Doch abgesehen davon gibt es so viele Gelegenheiten, dem Kind selbstbestimmtes Handeln zu ermöglichen. Denn was das Kind frühstücken möchte und ob es mittags erst die Bratwurst und dann die Kartoffel essen möchte oder umgekehrt, das ist doch völlig egal, oder? Ob es drinnen oder draußen spielen möchte ist höchstens umständlicher für mich, aber eigentlich völlig okay. Und was kann schlimmstenfalls schon passieren, wenn sich die Große dazu entschließt, die Blumen im Garten mit dem Wasser aus der Regentonne zu gießen? Worst Case: Sie wird nass und muss umgezogen werden. Auch das ist kein Act, da steht mir nur meine Bequemlichkeit im Wege, wenn ich es nicht zulasse.

Und ist es nicht auch wichtig, dass Kinder lernen, dass jede Entscheidung auch Konsequenzen mit sich bringt? Dass sie selbst ausprobieren und entdecken können? Z.B. dass die Füße nass werden, wenn sie mit Sandalen in die Pfütze springen, mit Gummistiefeln aber nicht? Dass man im Hochsommer mit der dicken Jacke bekleidet schwitzt, mit T-Shirt aber nicht? Oder dass man schlicht und ergreifend schneller wieder Hunger bekommt, wenn man nur ein Stück Wurst isst, nicht aber nach einer vollen Mahlzeit?

Und ist es nicht ebenso wichtig, dass sie lernen, wer A sagt muss NICHT B sagen? Dass sie sich auch mal umentscheiden dürfen, aus ihren Fehlern lernen und Entscheidungen berichtigen können und dürfen? Dass dann keiner kommt und besserwissend erklärt: Ich habe es dir ja gleich gesagt! All das könnten sie nicht lernen, wenn ihnen jede Entscheidung abgenommen werden würde. Das lernen sie nur, wenn sie selbstbestimmt handeln und entscheiden dürfen.

Erfolgeserlebnisse

Anders herum ermögliche ich meinem Kind viele tolle Erfolgserlebnisse, wenn es Entscheidungen selbstbestimmt treffen darf. Wie z.B. dann, wenn es merkt, dass seine Entscheidungen hilfreich waren/sind. Dass es gut war, sich für einen Schirm zu entscheiden, weil es draußen regnet und es dadurch nicht nass wird. Oder dass das Auto ganz geblieben ist, weil es entschieden hat, es vorsichtig in die Spielzeugkiste zu legen, statt es zu werfen.

Zudem fühlt es sich wertgeschätzt. Seine Meinung zählt und es gibt seinem Selbstbewusstsein einen kräftigen Schub, wenn es merkt, dass wir ihm zutrauen, Entscheidungen selbst zu treffen.

Appell

Ich möchte also hiermit an mich und an euch appellieren, unseren Kindern im Alltag Entscheidungsfreiräume und Möglichkeiten zur Selbst- und Mitbestimmung zu schaffen. Darin steckt unheimlich viel Lernpotenzial für die Kinder. Es wäre doch furchtbar schade, wenn wir ihnen diese Lernerfahrungen wegen Bequemlichkeit oder gut gemeinter, aber falscher Fürsorge nehmen würden, oder?

Wie ist das bei euch? Wo dürfen eure Kinder mit- oder selbst entscheiden? 

10 Kommentare

  • Dr. Annette Pitzer

    Kinder sind, je nach Alter, aus ihrer Entwicklung oft gar nicht in der Lage ihre Entscheidungen zu überschauen. Leider verstehen, dass viele Erwachsene nicht, wie sehr sie ihren Kindern da schaden. Diese Kinder behandle ich dann in meiner Praxis. Die Eltern sind dann sehr erstaunt, dass ihr Kind mich mag, obwohl ich klare Regeln vorgebe.

    Alles Liebe
    Annette

    • fraufreigeist

      Natürlich darf man seine Kinder auch nicht mit wichtigen Entscheidungen überfordern. Aber es ist schon erwiesen, dass es die Selbständigkeit der Kinder fördert und ihr Selbstbewusstsein steigert, wenn sie altersgerechte Entscheidungen selbst treffen dürfen. Sie lernen, dass wir sie und ihre Bedürfnisse und Wünsche respektieren und ihre Meinung was wert ist.

  • Bea

    Wir haben schon immer unsere Kinder mitbestimmen und vieles selbstbestimmen lassen, schon lange bevor das Thema so benannt wurde. Intuitiv eben. Wir haben sehr selbstsichere und charakterstarke Jungs, da hätte ich eh keine Chance gehabt.
    Allerdings brauchen meine Kids auch Führung, aber das merke ich, denn sie fragen mich, wenn sie sich nicht sicher sind. Und meinen Rat kann ich ja trotzdem geben, wenn ich bei -3Grad ein T-Shirt für die falsche Wahl halte. Meistens geben sie mir Recht, denn das ist eine Erfahrung, die sie gemacht haben: Ich habe nun mal oft Recht.

    Lieben Gruß, Bea.

  • Alice Christina

    Meine Eltern haben mich schon von klein auf sehr selbstbestimmt und selbstsicher erzogen. Ihnen war es besonders wichtig, dass ich selbstständig aufwachse und jederzeit meine Meinung vertreten kann. Das werd ich auf jeden Fall auch für meine Kinder weitermachen – aber natürlich auch immer mit gewissen Regeln verbunden.

    Liebe Grüße,
    Alice von http://www.alicechristina.com

  • Avaganza

    Ich sehe das als Psychologin etwas anders. Kinder brauchen Regeln an denen sie sich orientieren können und natürlich auch Freiraum für eigene Entscheidungen. Allerdings habe ich es immer häufiger mit Kindern zu tun die einfach keine Grenzen von ihren Eltern gesetzt bekommen (weil es halt auch mühsam ist dem Kind nicht jeden Gefallen zu tun) und damit überfordert sind. Ich sehe eher das Problem vielen Kindern die Grenzen fehlen und sie mit der vermeintlichen Freiheit überfordert sind.

    lg
    Verena

    • fraufreigeist

      Es ist natürlich wichtig, Kindern auch Orientierung zu geben. Ich habe hier aber nur von altersgerechten Entscheidungen gesprochen, wie z.B. das Outfit für die KiTa oder was gefrühstückt werden soll etc. Diese Entscheidungen kann ein Kind getrost selber treffen. Und in diesen kleinen Dingen kann es lernen, merkt ja auch, welche Konsequenzen seine Entscheidungen haben wird selbständiger und selbstbewusster.

  • Eileen

    Ein schöner Beitrag mit einer wichtigen Botschaft! Als Kind durfte ich auch in großem Maße entscheiden, was mir für später viel geholfen hat, man traut sich einfach selbst mehr zu, man kann sich besser einschätzen.

    Sollte ich irgendwann Kinder haben würde ich es genauso machen.

    Viele Grüße Eileen von http://www.eileens-good-vibes.de

  • Jana

    Ich habe bei mir in der Praxis auch viel mit Kindern zu tun und sehe viele Eltern, die sehr bestimmt sind, andere die viel mehr auf ihre Kinder eingehen. Ich finde auch, dass Kinder in vielen Bereichen Regeln brauchen, aber Selbstbestimmung bei alltäglichen Entscheidungen wie Kleidung, Essen und vor allem bei „Was möchtest du jetzt am liebsten spielen“ genauso wichtig. Ich lasse meine kleinen Kinder am Ende der Stunde immer ein Spiel aussuchen!

    Liebe Grüße
    Jana

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